Brahms gewidmet | Projektbericht

Bernhard Scholz: Streichquintett E-Dur op. 47
Kompositions- und Rezeptionsgeschichte

26. November 1877:

Luise Scholz informiert Brahms, dass ihr Mann aufgrund des von Brahms mitverantworteten Preises für op. 46 am Komponieren eines neuen Streichquintettes sei – im Brief vom selben Tag, den Bernhard Scholz an Brahms schrieb, ist das spätere Quintett op. 47 dagegen nicht erwähnt:

Breslau, 26. Nov. 77.
Guten Morgen, lieber Brahms

Gewiß ist mein letzter indirekter Gruß sicher in Ihren Händen, und Sie waren nicht unempfindlich dagegen? Die arme Dustmann hat diesmal die allerbittersten Erfahrungen hier machen müssen; möchten Sie sie endlich dazu bewegen, nur noch im stillen Kämmerlein zu singen. Beifolgend ein Aktenstück, wie ich es auf der ganzen Welt nur Ihnen gönne. Es kommt von einem Schreiberhauer, der sich der Hoffnung hingibt, in dem neuen Hause meiner Freundin Granier, die sich in diesem Sommer oben angebaut hat, »Hausmann« zu werden. Die »eingesauerten Bären« bedeuten Preiselbeeren; den kleinen »Fündling« aber stellt ein Teller voll Himbeeren vor, der den Brief begleitet. Die Oberin hat sich erst nicht davon trennen wollen; als sie aber neulich einige Chöre aus Ihrem ›Requiem‹ hörte, war sie so entzückt, daß sie nicht länger mit ihrem Opfer zögerte. Auch ein origineller Zusammenhang! Dieser Sommer war ein zerfahrener, zerissener! Ich mußte fast immer bei den Schulpflichtigen in Breslau sein, mein Mann war selten so ganz zufrieden mit seiner Gesundheit, ängstlich und leicht verstimmt. Jetzt erst mit dem Winter ist unsere alte Gemütlichkeit wiedergekommen. Bernhard ist frisch und heiter wie je, auch wieder schaffensfreudig: ein neues »Streichquintett« mit zwei Celli ist fix und fertig, und dazu haben Sie allein ihn durch die Anerkennung seines »Quartetts« (die überhaupt in jedem Sinne die wohltätigste Wirkung auf ihn hatte) angeregt, wofür ich Ihnen von Herzen danke. Wir sind jetzt so glücklich, daß es mir die größte Freude wäre, Sie einmal dabei zu haben, gerade Sie, der uns das letzte Mal müde und traurig sah, und den wir so liebhaben. – Die Kinder sind alle köstlich, Richard schreibt von Karlsruhe die lustigsten Briefe, wird dort geliebt und gelobt

Mit innigem Gruße Ihre Luise Scholz.

Luise Scholz bezieht sich auf das Preisausschreiben des Florentiner Quartettvereins Jean Becker im Jahr 1877, in dessen Rahmen Scholz’ Streichquartett op. 46 prämiert wurde (Preis geteilt mit Friedrich Lux), Brahms ist mit Robert Volkmann Preisrichter dieser Konkurrenz (vgl. MWb 1877, S. 452).

Beide prämierten Quartette werden in der Folge in der Presse als »Preisquartett« bezeichnet, beide platzieren die Angabe des Preises mit gleichlautendem Text auf der Titelseite des jeweils bei Peters veröffentlichten Erstdrucks:

»Durch das Urtheil der Herren Dr. Johannes Brahms und Robert Volkmann mit dem von dem Florentiner Quartett Verein (Jean Becker, Enrico Masi, Luigi Chiostri, Louis Hegyesi) ausgeschriebenen Preise gekrönt.«

Vor Anfang Juni 1878: Das fertige Quintett wird preisgekrönt vom Verein für Kammermusik in Sankt Petersburg (bei Nichtvergabe des 1. Preises); Preisgeld: 150 Rubel. U. a. hatte sich auch Gustav Mahler beworben.

vgl. Der Klavier-Lehrer 1/13 (1. Juli 1878), S. 158
»Musikdirektor Bernhard Scholz in Breslau ist abermals mit einem Preise gekrönt worden. Ein Streichquartett [sic] von ihm wurde von dem Petersburger Verein für Kammermusik mit dem ersten Preise von 150 Rubeln bedacht.«
vgl. Revue et Gazette Musicale de Paris 45/23 (9. Juni 1878), S. 183
»Le concours de composition, ouvert par la Société russe de musique de chambre a donné les résultats suivants: premier prix, non décerné; deuxieme prix, de 150 roubles, à M. Bernhard Scholz, pour un quintette à cordes; mentions honorables aux auteurs, non désignés jusqu’ici, d’un nonetto pour instruments à vent, d’un sextuor et d’un quatuor à cordes.«

Auf diese Anzeige des Preises bezieht sich wohl auch Brahms in seinem Dankesbrief für die Widmung an Scholz (»in einem Pariser Musikjournal«).

1872: auf Initiative der Brüder Eugen K. und Ludwig Albrecht wird in St. Petersburg die Gesellschaft für Quartettmusik (mit Streichquartett, die Brüder Albrecht als 1. Violine/teils auch Bratsche – Eugen – bzw. Cello – Ludwig) gegründet, diese wird 1878 umbenannt in »Gesellschaft für Kammermusik«.

1877 wird der erste Komponistenwettbewerb ausgeschrieben (vgl. Gmunden, S. 221), dies ist derjenige, an dem auch Scholz teilnimmt.

Auf dem Erstdruck erscheint die Angabe: »Preisgekrönt vom Verein für Kammermusik in St. Petersburg.«

28. Juni 1878

Widmungsanfrage Scholz an Brahms
Breslau, 28. Juni 1878.

Lieber Freund!
Endlich ist es gelungen, wonach ich seit mehreren Jahren gestrebt habe: unser Konzertsaal ist für musikalische Zwecke dauernd erworben und soll im nächsten Winter bereits in schönerem Kleide erscheinen. Wir möchten deshalb unserm ersten Konzert ein besonders festliches Gepräge geben, und ich bin beauftragt, bei Dir anzufragen, ob Du dasselbe durch Deine erlauchte Gegenwart und Mitwirkung verherrlichen willst. Wir denken dabei an die Aufführung Deiner zweiten 'Sinfonie'. Würdest Du als Spieler, nämlich Klavierspieler auftreten wollen, so wäre uns das auch hocherfreulich, am erfreulichsten, wenn Du ein zweites 'Konzert' mitbrächtest. Wir bitten Dich, Vorschläge zu machen, in welcher Weise und unter welchen Bedingungen Du mitwirken willst; – wenn Du überhaupt dazu geneigt bist. Dann habe ich noch eine Privatbitte an Dich: ich habe neulich mit einem »Streichquintett« in Petersburg den Preis bei einer Konkurrenz davongetragen. Ich glaube, dieses Opus ist das beste, was ich bis jetzt an derartigem geschrieben habe, und ich hoffe, es wird sich auch Deines Beifalls zu erfreuen haben. Willst Du mir gestatten, es Dir zu dedizieren? Antwort auf diese Fragen erbitte ich mir nach Schreiberhau (Reg.=Bez. Liegnitz). Und nun lebe mir wohl! Erfrische Dich in und am See und am Gebirge!

In Treue Dein B. Scholz

Unser erstes Konzert findet statt am 22. Oktober.

Anfang Juli 1878

Dank für die Widmung, Brahms an Scholz:

Lieber Freund.

Es gibt gar kein besseres Geschenk als eine Widmung, und Du machst mir die größe Freude, wenn Du mir sie gönnst. In einem Pariser Musikjournal hatte ich schon von Deinem neuen Sieg gelesen und mich doppelt darüber gefreut – weil er eben der zweite ist, und weil das eben sehr niedlich aussieht! Ich gratuliere herzlich! Wenn nun ein Brief so Liebes und Schönes enthält, sieht man das Übrige auch freundlicher an. Ich höre nun einmal nicht gern von Konzerten und werde bombardiert damit. Jetzt im Sommer habe ich nach allen Seiten hin – abzuschreiben. Das aber tue ich Dir nicht gern; Du bist der erste den Sommer, den ich zunächst bitte, etwas zu warten?! Ich möchte also gern kommen, die zweite 'Sinfonie' hindert ja auch nicht, und ich hoffe gar, Deine Frau macht mir zu einigem drin ein freundliches Gesicht. Nun aber – das ist doch nicht der Mühe wert (NB. die 'Sinfonie', nicht das Gesicht!). Und so möchte ich gern ein wenig Zeit haben, vielleicht kann ich weiteres melden – einstweilen vertrödle ich hier die Zeit mit so manchen andern unnützen Sachen. Also: gar so große Eile hat's wohl nicht? Ich lasse Deinen Brief liegen und behalte das Datum. Nächstens mehr und für heute nur noch mal von Herzen Dank für die freundliche Absicht, die ich sehr ernst als etwas sehr Schönes empfinde. Mit besten Grüßen an Dich und die Deinen

J. Brahms.

4. September 1878: In der AmZ (4. September 1878, S. 575) ist eine Verlagsanzeige geschaltet, die die baldige Erscheinung des Erstdrucks ankündigt.

Ende September 1878: Brahms plant eine Konzertreise nach Breslau und wünscht sich auf dem Programm das Quintett op. 47:

[...] Das »Quintett« bitte ich mir aus, und dann wäre es hübsch, wenn Frl. Assmann einen andern Scholz und einmal Br sänge [...]«

24. Oktober 1878: Brahms ist in Breslau, in einem Kammermusikkonzert unter seiner Mitwirkung wird auf seinen Wunsch (vgl. Brief) neben seinem Klavierquartett op. 26 auch das ihm gewidmete Quintett von Scholz gespielt.

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