Brahms gewidmet | Projektbericht

Hermann Goetz: Klavierquartett e-Moll op. 6
Das Werk

Das Brahms gewidmete Klavierquartett von Hermann Goetz gelangte 1870 als Opus 6 in den Druck. Damit teilt es ein – wenn auch nur äußerliches – Merkmal mit einer erstaunlich großen Anzahl weiterer Klavierquartette der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Peter Revers bemerkt zu Recht, dass es sich bei Werken dieser Besetzung häufig um frühe Arbeiten handele und verbindet damit die Frage, ob solche Kompositionen der »Entwicklung der eigenen Musiksprache an vorbildhaften Modellen« dienten (Revers 1999, S. 525). Tatsächlich hat auch Goetz die Quartette op. 25 und 26 des Widmungsadressaten Brahms als Inspirationsquelle seines Klavierquartetts angegeben. Er habe die Dedikation vorgenommen, »weil Ihre Klavierquartette A-dur und g-moll zuerst in mir den Gedanken anregten, diese Form zu bearbeiten«, berichtete er an Johannes Brahms (Brief vom 6. Juni 1870, Bobéth 1996, S. 215).

Neben der Möglichkeit, die eigenen kammermusikalischen Fähigkeiten auszuloten und trotzdem die ambitionierteste Gattung, das reine Streichquartett, zu vermeiden (tatsächlich sollte Goetz in seinem kurzen Leben nie ein Streichquartett veröffentlichen), zollte der Komponist somit der offensichtlichen Vorliebe von Brahms für Klavierkammermusik Tribut. Zum Zeitpunkt der Widmung hatte immerhin auch Brahms noch kein Streichquartett der Veröffentlichung für Wert befunden, dagegen jedoch ein Klaviertrio, zwei Klavierquartette und ein Klavierquintett in den Druck gegeben.

Schnell wurde dem Goetz’schen Quartett trotz der eingestandenen Inspirationsquelle eine große Individualität bescheinigt, es sei »zweifelsohne dem Besten beizuzählen, was die neuere Zeit auf diesem Gebiet zutage gefördert hat« (MWb 4/9, 28. Februar 1873, S. 138) und wurde auch international gefeiert. Bis heute wird ihm »das Prädikat ›Meisterwerk‹« zuerkannt (Bobéth 1996, S. 211). Dennoch sind Spuren der Anlehnung an zentrale Aspekte der Musiksprache von Brahms zu erkennen. Es handelt sich vor allem um die überaus konsequente Themenverarbeitung und -ableitung voneinander, die bereits Michael Aschauer (Aschauer 2006, S. 110–114) betont hat; auffällig auch der Hang zu ausgedehnten kontrapunktischen Passagen, die das ganze Werk durchziehen. Ebenso wie in Brahms’ op. 26 setzte Goetz so beispielsweise das Trio des Scherzo-Satzes als Kanon. Ein Unterschied zwischen beiden Komponisten wird dabei freilich augenfällig: Während bei Brahms im Kanon die Streichergruppe gleichberechtigt neben dem Klavier steht, komponierte Goetz in weiten Teilen einen dreistimmigen Kanon der Streicher mit Begleitung des Klaviers – paradigmatisch für seinen Umgang mit beiden Stimmfarben. Goetz zeigt sich damit wesentlich stärker klassischen Prinzipien verhaftet, die aus den Ursprüngen der Gattung heraus als Komposition für konzertantes Klavier mit Streicherbegleitung oftmals Klavier- und Streichersatz recht isoliert nebeneinander laufen lassen.

Auffallend ist in Bezug auf möglicherweise durch Brahms inspirierte Passagen auch der Einsatz von Variationen im langsamen Satz – eine Formgebung, die unter anderem auf die zwei bereits erschienenen Streichsextette op. 18 und 36 von Brahms verweisen kann. In beiden ist der langsame Satz als Thema mit Variationen konzipiert, die freilich in op. 36 nicht als solche benannt werden. Wie so häufig bei Brahms ist auch bei Goetz das verarbeitete Themenmaterial weniger melodisch fixiert, es exponiert vielmehr zwei rhythmisch zu unterscheidende Motive. Die besonders kunstvollen rhythmischen Überlagerungen in der zweiten Variation des zweiten Satzes zeigen freilich darüber hinaus, dass Goetz eine weitere Facette der oft mit Brahms identifizierten Musiksprache bewusst nachvollzog. Denn die vertikale Konfliktrhythmik, welche die Achtel des Streichersatzes gegen die Triolen in der Klavierstimme stellt, kann ansonsten nicht unbedingt als typisch für die Tonsprache von Goetz angesehen werden. Für Brahms galt sie dagegen als paradigmatisch, »die Gleichzeitigkeit verschiedenartiger Rhythmen und Tactarten« sei eine »auffallende Vorliebe« (Hanslick 1886, S. 169). Was Reger bei Brahms als »die Figuration die ich so liebe 2 zu 3« erkannte (an Adalbert Lindner, Brief vom 15. Februar 1893, vgl. Popp 2000, S. 135), setzt Brahms unter anderem in vielen Kammermusikwerken ein. Dies gilt tatsächlich besonders für die beiden Klavierquartette, die Goetz als seine Inspirationsquelle nennt (vgl. op. 25 z. B. S. 24, 31, 33 im Erstdruck, op. 26 S. 3, 4, 21, 24). In anderen Punkten setzte sich Goetz von Brahms deutlich ab. Dies betrifft zunächst formale Merkmale wie die durchgehend deutschen Satzbezeichnungen, die auch im Klaviertrio op. 1, nicht aber im Klavierquintett op. 16 Verwendung finden. Dass das Klavierquartett trotz der an Brahms erinnernden Technik auch im Ausdruck höchst eigenständig bleibt, liegt dagegen gerade an der konsequenten, sich voneinander ableitenden Anlage der Sätze. Unter anderem gelingt es Goetz, den zweiten und dritten Satz auf höchst originelle Art zu verbinden: Das Hauptthema des dritten Satzes scheint – quasi als fünfte Variation – schon im zweiten Satz auf, bevor dieser mit dem eigenen, düsteren Hauptthema endet. Die ersten Takte beider Themen erweisen sich dabei zusätzlich als Umkehrung des jeweils anderen. Neben solchen Verknüpfungen fällt aber auch die ausgeprägte Melodik auf, die bereits in der Rezeption des 19. Jahrhunderts als »Götz’sche Eigenart« (NZfM 56/47 [20. November 1889], S. 539) anerkannt und gelobt wurde: Von den »oft herberen« (so Aschauer 2006) Themen des Widmungsträgers setzen sich die oft sehr kantablen Themen von Götz deutlich ab.

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