Brahms gewidmet | Projektbericht

Hermann Goetz: Klavierquartett e-Moll op. 6
Kompositions- und Rezeptionsgeschichte

Das Klavierquartett E-Dur op. 6 entstand 1867/68 im schweizerischen Winterthur, wo Hermann Goetz seit 1863 als Nachfolger von Theodor Kirchner als Organist an der Stadtkirche tätig war. Die Komposition schritt recht zügig voran: Die Sätze sind im Autograf auf den Zeitraum zwischen dem 30. Oktober 1867 (1. Satz) und dem 14. Januar 1868 (4. Satz) datiert. Nur wenige Tage vor der Fertigstellung des ersten Satzes hatte Goetz sich am 22. Oktober brieflich geäußert, er »stecke […] wieder in einem neuen Werk das – wie ich denke – recht gut werden soll, ein Quartett für Klavier, Violine und Viola.« Die Komposition des späteren Erfolgswerks fiel in eine Periode, die für den kränklichen Musiker glücklich und dennoch von persönlichen Zweifeln begleitet war: Es ist die Zeit seiner anfänglich schwierigen – da zeitweilig wieder aufgelösten – Verbindung und späteren Verlobung (Neujahr 1868) mit Laura Wirth, die er trotz Bedenken wegen seiner instabilen Gesundheit (seit seinem 14. Lebensjahr litt er an Tuberkulose) am 22. September 1868 heiratete.

Nach Beendigung der Komposition scheint das Quartett aus ungeklärten Gründen für über ein Jahr beim Komponisten in den Hintergrund getreten zu sein. Es wurde offensichtlich weder aufgeführt noch für eine Veröffentlichung vorbereitet. Die erste Aufführung fand schließlich im Herbst 1869 statt: 1870 zog Goetz nach Zürich um, wo er als Pianist und Klavierlehrer arbeiten wollte. Kurz zuvor führte er sich beim Publikum der neuen Heimatstadt mit einem Konzert eigener Werke ein, auf dessen Programm auch das Klavierquartett stand. Am 12. Oktober 1869 berichtete Goetz schließlich in einem Brief an seine Frau, er sei mit dem Verlag Breitkopf & Härtel in Verhandlungen über eine mögliche Drucklegung getreten. Die Übernahme in das Verlagsprogramm war keineswegs selbstverständlich. Denn trotz zunehmender Erfolge beim Konzertpublikum und der Unterstützung maßgebender Musiker wie seinem ehemaligen Lehrer Hans von Bülow und Joachim Raff hatte Goetz Probleme, seine Werke zum Druck zu bringen (vgl. einen Brief an Joachim Raff, 13. Februar [1867], Mbs Raffiana I). Vorbehalte des Verlegers begegnen tatsächlich auch noch im Rahmen der Vorbereitungen des Erstdrucks des Klavierquartetts. Doch im November 1869 konnte Goetz die Verhandlungen mit Breitkopf & Härtel zu einem positiven Ende führen – freilich indem er auf ein angemessenes Honorar verzichtete, um die Drucklegung zu ermöglichen. Der Erfolg des Werks belohnte ihn: Das Quartett trat – begleitet von teils überschwänglichen, jedoch auch einigen ambivalenten Rezensionen – seine Erfolgsgeschichte durch die Konzertsäle an.

Von der Beliebtheit beim zeitgenössischen Publikum zeugt neben diversen Nachdrucken, die im 19. Jahrhundert erschienen, auch die erstaunlich umfangreiche Aufführungsliste. Denn in einem Umfeld, in dem der klassische Kanon der Kammermusikliteratur im Konzertsaal breitesten Raum einnahm, hatten es zeitgenössische Komponisten – mit Ausnahme einiger besonders bekannter Namen wie Johannes Brahms – schwer, ihre Kammermusikkompositionen über den Rahmen der Uraufführung hinaus in Konzerten zu positionieren. Doch 1873 konnte Goetz in Bezug auf sein Quartett op. 6 konstatieren: »Ich habe beim Publikum stets Glück gehabt damit, auch an Orten, wo man mich gar nicht kannte.« (Brief vom 18. Oktober 1873 an Ernst Frank, ZZ 141) Auch Johannes Brahms, dem Hermann Goetz die Komposition ohne vorherige Anfrage gewidmet hatte, äußerte sich positiv: »Goetz’ Quartett hat mir viel Freude gemacht« schrieb er an seinen Verleger Rieter-Biedermann (Brief vom [20. Juni 1870], BW XIV, S. 189). Einen erneuten Aufschwung erfuhr die Rezeption des Quartetts durch den großen Erfolg der Oper Der Widerspenstigen Zähmung (UA 1874), die das öffentliche Interesse an Goetz und seinen übrigen Werken beflügelte. Franz von Holstein berichtete dementsprechend an den Komponisten: »Härtels haben es in Ihrem Katalog gewissermaßen neu entdeckt, weil die ›Widerspenstige‹ Ihren Namen bekannt gemacht hat« (Brief vom 28. Januar 1876, ZZ 142). Tatsächlich finden sich im Katalog von Breitkopf & Härtel Titelauflagen von 1875 und 1881, die für das ungebrochene und neu angefachte Interesse seitens einer zahlenden Öffentlichkeit stehen. Dem Quartett war jedenfalls bis zur Jahrhundertwende eine fortgesetzte Rezeption beschieden (neue Ausgaben erschienen 1912 und 1926) und auch in jüngster Zeit erscheint das Werk wieder vermehrt auf der Repertoireliste von Kammermusikvereinigungen.

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