Brahms gewidmet | Projektbericht

Hermann Goetz und Brahms

Johannes Brahms und Hermann Goetz standen seit der Mitte der 1860er Jahre bis zum frühen Tod des Wahl-Schweizers Goetz in sporadischem Kontakt, nur zwei oder drei Mal kam es aber wohl zu einem persönlichen Treffen. Wann die erste Begegnung stattfand, ist nicht ganz klar, Brahms nahm jedoch seit diesem Zeitpunkt Anteil am Werdegang des begabten Kollegen. Marek Bobéth vermutet, dass Goetz am 29. November 1865 unter den Zuhörern eines Konzertes von Brahms in Winterthur gewesen sei. Im Kontext dieser Schweiz-Reise von Brahms könnte auch das erste private Zusammentreffen stattgefunden haben (vgl. Widmann, BW XIV, Brief 160, FN 3), andere Quellen (so Bobéth 1996) datieren die erste Begegnung auf 1866. Auch in diesem Jahr hat Brahms Winterthur besucht, für sechs Wochen wohnte er im Frühjahr im Haus des Verlegers Rieter-Biedermann, um an Ein deutsches Requiem op. 45 zu arbeiten.

Joseph Viktor Widmann (der freilich selber nicht anwesend war und Brahms erst später kennenlernte) überliefert – unabhängig vom korrekten Datum – folgende Episode: »Damals lagen auf einem Stehpult frisch beschriebene Notenblätter, ein Kammermusikwerk, an dem Goetz arbeitete. Brahms trat mit den Worten: ›Ah! amüsieren Sie sich auch manchmal mit dergleichen?‹ an das Pult und wollte in dem Manuskript lesen. Goetz aber breitete beide Hände über die Noten und sagte mit etwas zu jugendlich-feierlichem Ausdruck: ›Es ist das Heiligste, was ich habe!‹ worauf Brahms sich geärgert wegwandte, von etwas anderm zu sprechen begann und sich bald verabschiedete« (Widmann 1898, S. 21).

Es handelt sich nach Eduard Kreuzhage bei dem in Frage stehenden Kammermusikwerk um das unveröffentlicht gebliebene Streichquartett B-Dur (Kreuzhage 1916, S. 45), nicht um das später Brahms gewidmete Klavierquartett op. 6 – erst 1867 begann Goetz mit der Komposition dieses Werkes. Vielleicht aber hängt die Zueignung eines Kammermusikwerks, das (wie Goetz in der brieflichen Mitteilung der Dedikation unmissverständlich klar machte) von den Werken des Widmungsadressaten inspiriert war, doch mit den nur anekdotisch überlieferten Geschehnissen der ersten Begegnung zusammen.

Der einmal geknüpfte Kontakt riss in der Folge nicht mehr ab, auch wenn er nie richtig intensiv und freundschaftlich werden sollte. Erst Jahre nach der Widmung des Klavierquartetts fand ein Wiedersehen statt: 1874 besuchte Brahms den bereits todkranken Goetz in Hottingen bei Zürich. Auch nach dem Tod des Kollegen setzte Brahms sich für seine Kompositionen ein, schätzte ihn als außergewöhnlich talentierten Komponisten. So schlug er z. B. Ernst Frank die Aufnahme des Goetz’schen Klavierkonzerts op. 18 in das Programm des Mannheimer Konzerts vom 7. November 1876 vor, in dem seine eigene Sinfonie c-Moll op. 68 erklang, die am 4. November in Karlsruhe unter der Leitung von Otto Dessoff uraufgeführt worden war (Bobéth 1996, S. 248f.). Sowohl Goetz als auch Brahms vertonten darüber hinaus Friedrich Schillers Nänie – Brahms freilich erst im Jahr 1881 und damit sechs Jahre nach dem Erscheinen von Goetz‘ Nenie (1875). Bezeichnenderweise hat sich auch Bernhard Scholz später diesem Stoff zugewandt: 1905 veröffentlichte er als ersten Teil einer dreiteiligen Serie von Schiller-Vertonungen seine Nenie für Männerchor und Soli op. 87 (außerdem Dithyrambe [Schiller] für gem. Chor mit od. ohne Klavier op. 88, Scene von Beatrice [Schiller’s »Braut von Messina«] für Solostimme und Orchester op. 89).

Einer besonderen Bitte kam Brahms jedoch trotz seiner Wertschätzung für Goetz nicht nach: Goetz hatte ihn zusammen mit Ernst Frank auserwählt, seine Oper Francesca da Rimini nach seinem Tod zu vollenden – ein Wunsch, den Brahms zwar ablehnte, Frank jedoch bei seiner Arbeit beratend zur Seite stand.
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