Brahms gewidmet | Projektbericht

Professionalisierung vs. Dilettantismus

Der Beginn des 19. Jahrhunderts stellt für die Wahrnehmung und Bewertung von Kammermusik eine Periode umfassenden und vielschichtigen Wandels dar. So wurde der zuvor durch den sozialen Rang des adligen Adressatenkreises manifestierte Wert einhergehend mit einer neuen bürgerlichen Geschmacksträgerschicht abgelöst durch einen musikimmanenten ästhetischen Status (Schwindt-Groß, MGG2, Art. Kammermusik) – damit wurde jede kammermusikalische Komposition vom »unterhaltenden Serienwerk zum autonomen Einzelwerk« (Wörner 1993, S. 496). Dies geschah in enger Abhängigkeit zur Professionalisierung von Konzertbetrieb und Musikerausbildung. Denn immer mehr trat die Kammermusik aus ihrem eigentlichen Milieu der musizierenden Liebhaber und Dilettanten heraus (u. a. Mauser 2005, S. 210), spätestens mit den mittleren Streichquartetten von Beethoven (op. 59) wird die neue Trägerschicht des ausführenden Profimusikers gemeinhin als Fakt angesehen (vgl. Dahlhaus 1974, S. 55). Dies ermöglichte es den Komponisten, den avisierten Adressaten eine größere Spielfertigkeit, aber auch ein größeres Verständnis für die Werkinhalte zuzutrauen. Zunehmend verzichteten sie dementsprechend darauf, den Anspruch ihrer Werke dem Niveau musizierender Laien – seien diese auch noch so begabt – anzupassen: Steigende spieltechnische Komplexität ist die Folge. Die Begründung für den Wandel ist vielschichtig.

Neben der Loslösung des musikalischen Lebens vom Hof und einem neuen Selbstverständnis des Bürgertums spielten auch verbesserte Ausbildungsmöglichkeiten durch die Neugründung von Konservatorien und das neue Selbstverständnis der Musiker eine Rolle. Dementsprechend ist die Umorganisation des Konzertlebens auch ein Tribut an die Notwendigkeit, neue Einnahmequellen zu erschließen: Die zunehmend nicht mehr bei Hofe angestellten Musiker und Ensembles boten öffentliche Konzertreihen an, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, Kammermusikkonzerte begannen sich zu etablieren. 1804 wurde in Wien erstmals ein öffentlicher Kammermusikabend des freilich noch bei Hofe des Grafen Rasumowsky angestellten Schuppanzigh-Quartetts angekündigt.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist der vom Adel unabhängige Berufsmusiker etabliert. Quartettvereinigungen wie das Rosé-Quartett, die Quartettvereinigung um Joseph Hellmesberger und vor allem das Joachim-Quartett wirkten kanonbildend, trugen aber auch einen Bildungsanspruch in sich. Bestes Beispiel ist die starke Anbindung des Joachim-Quartetts an die neugegründete Berliner Hochschule, deren Direktor der Quartettprimarius Joseph Joachim gleichzeitig war. Das neue bildungspolitische Sendungsbewusstsein der Musiker entsprach der allgemeinen Idee der musikalischen Bildung, die mit der neuen, autonomen Kammermusik verbunden wurde (Wörner 1993, S. 497). Nicht umsonst galt Kammermusik nun als Teil der ›ernsten‹ Musik für den musikalisch Gebildeten und die Komposition entsprechender Werke als ambitioniert. Analog wurde auch vom Hörer Bildung erwartet, eine gewisse Fähigkeit zum Erkennen der spezifischen Qualität vorausgesetzt; der Anspruch der (Kammer-)Musik wurde zugleich überhöht zum »Gegenstand der Bildung zur ›Humanität‹« (Wörner 1993, S. 497). Dieser Entwicklung trägt der Ausspruch des Arztes und Brahms-Freundes Theodor Billroth Rechnung, der als musikalisch hochgebildeter Dilettant zur neuesten Kammermusik bemerkte:

»Bis Mendelssohn und Chopin ging ich von selbst enthusiastisch mit, für sie reichte meine bis dahin erworbene musikalische Bildung aus; zu Schumann und Brahms brauchte ich Führer« (Billroth 1895, S. 177. Er wolle »den Dilettanten in diesen Dingen die Illusionen abschütteln«, heißt es passenderweise in der Einleitung, ebd. S. 5).

Freilich bedeuten die angedeuteten Entwicklungen keine komplette Abkehr von der Komposition für musizierende Laien, vielmehr wurde die privat aufgeführte ›leichtere‹ Hausmusik von der professionell und öffentlich ausgeführten Kammermusik ›ernsteren‹ und gehobeneren Zuschnitts getrennt. In der Rezeption der jeweiligen Werke wurde die vom Komponisten intendierte Zielgruppe durchaus mit bedacht:

»[E]s genügt zu bemerken, dass Brahms den Vortrag seiner Compositionen nicht von Dilettanten erwartet, sondern von Spielern, die ihr Instrument technisch und künstlerisch vollständig beherrschen.« (AmZ 13/30 [24. Juli 1878], Sp. 472).

Der Dilettant ist nun in der Ausübung merklich herabgestuft zum Laien, dessen Fähigkeiten wiederum unter denen professionell ausgebildeter Musiker stehen. Der neue musikästhetische Anspruch ist auch an bestimmten Werken für den passionierten und ernsthaften Hausmusiker zu erkennen. In die Kategorie der zwar auch für Dilettanten-Musiker zu bewältigenden Kompositionen, denen aber zugleich hohe ästhetische Wertigkeit zugesprochen wurde, lassen sich die beiden Brahms gewidmeten Kammermusikwerke von Hermann Goetz und Bernhard Scholz einordnen. Gerade zu den Kompositionen von Bernhard Scholz heißt es im Nekrolog auf den verstorbenen Musiker in der Rheinischen:

»Vieles davon ist freilich schnell der Vergessenheit anheimgefallen, aber einzelnes, wie vor allem die größeren Kammermusikwerke, können noch heute in den Kreisen ernster Dilettanten wegen ihrer vornehmen Haltung Freude machen.«

In noch stärkerer Weise wurde jedoch das Quartett von Hermann Goetz mit hervorragender kompositorischer und ästhetischer Qualität verbunden. Der frühe Biograph des Komponisten, Eduard Kreuzhage, bezeichnete das Werk zusammenfassend als »ein wirkliches Meisterwerk«, das aber trotzdem »auch für gute Dilettanten keine unüberwindlichen Schwierigkeiten [biete], so daß man ihm gern einen Platz in unserer besten Hausmusik einräumen möchte« (Kreuzhage 1916, S. 178 bzw. 179).

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