Brahms gewidmet | Projektbericht

Bernhard Scholz und Johannes Brahms

Über die Anfangszeit der seit den frühen 1860er Jahren bestehenden Verbindung zwischen Bernhard Scholz und Johannes Brahms ist nicht viel bekannt. Klar ist, dass sich die Komponisten über den gemeinsamen Freund Joseph Joachim kennenlernten, der als Königlicher Konzertmeister wie Scholz in Hannover wohnte. Auch die Unterzeichnung des durch Indiskretion zu früh erschienenen Manifests gegen die Neudeutschen durch Scholz ist wahrscheinlich auf Joachims Vermittlung zurückzuführen. Aus dieser frühen Zeit des Kontaktes sind Quellen freilich nur spärlich überliefert, die briefliche Kommunikation zwischen Scholz und Brahms sogar nur in einem Einzelfall: Ein Brief von Brahms an Scholz aus dem Jahr 1862 ist bekannt, aber nicht veröffentlicht.

Im dritten, 1907 (also noch zu Lebzeiten von Scholz) von Wilhelm Altmann herausgegebenen Band des Brahms-Briefwechsels beginnt die Dokumentation erst im Jahr 1872. Scholz selber berichtet in seiner Autobiografie Verklungene Weisen (S. 142f.) von einem ab 1860 erst allmählich enger werdenden Kontakt. Er begründet die anfängliche Zurückhaltung damit, dass Brahms »etwas Zurückhaltendes und Sprödes im Benehmen« gehabt habe, »und denselben Eindruck machte mir seine Musik, bis mich die Frische und der Wohllaut, der warme Schubertsche Ton seines ersten Sextetts für ihn gewann.« Von da an war das Engagement für die Werke des Freundes eine Konstante im Leben von Scholz: Nachdem er als Musikdirektor nach Breslau übergesiedelt war, lud er Brahms regelmäßig zu Konzerten ein – ab 1874 sind wiederholte Besuche belegt. Daneben setzte er sich in eigenen Konzerten für Brahms-Werke ein. Scholz berichtet für sein Repertoire als Dirigent und Konzertveranstalter: »[u]nter den lebenden Künstlern nahmen natürlich Richard Wagner und Johannes Brahms die erste Stelle ein.« (Scholz 1911, S. 264) Brahms scheint sich bei seinen Breslauer Besuchen im Haus der Familie Scholz sehr wohl gefühlt zu haben, verschiedene Dankesbriefe belegen dies. Spätestens mit dem Brief vom 15. April 1874 geht Scholz gegenüber Brahms in der Anrede zum vertrauten »Du« über, nachdem er ihn seit Beginn des überlieferten Briefwechsels ab 1872 bereits wiederholt als »Freund« tituliert hatte. Bei seiner Breslau-Reise 1878 ließ Brahms sich auf besonderen Wunsch unter anderem das ihm gewidmete Quintett von Scholz in einem Konzert präsentieren. Und auch danach riss der Kontakt nicht ab: Nur ein Jahr später vermittelte Scholz so die Verleihung der Ehrendoktorwürde an Brahms am 11. März 1879 durch die Universität Breslau. Zu diesem Anlass wünschte er sich vom Ehrendoktor eine »Doktor-Symphonie«, Brahms freilich komponiert stattdessen ›nur‹ die Akademische Festouvertüre (die der Universität allerdings bewusst nicht offiziell im Erstdruck gewidmet wurde).

Es ist unklar, warum der Briefwechsel schließlich abriss. Eine mögliche Erklärung ist, dass Scholz nach seinem Wechsel als Direktor an das Hoch’sche Konservatorium in Frankfurt Brahms vermehrt persönlich traf (vgl. Clive 2006, S. 389): Dieser war oft in der Stadt am Main, in der auch Clara Schumann am Konservatorium unterrichtete. Auffällig ist aber, dass Brahms in der 1911 veröffentlichten Schrift Verklungene Weisen nur einen vergleichsweise geringen Raum einnimmt, Scholz die Bekanntschaft in der Rückschau also nicht als eminent prägend herausstellen wollte.

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